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Iranische Himmelskarte

Aktualisiert: 9. Jan. 2021


Quelle: Anonyme Himmelskarte der nördlichen Hemisphäre. Bonhams Katalog Islamic and Indian Art, 11. Oktober 2000, S. 37.


Diese Karte wurde im Jahr 2000 von dem britischen Auktionshaus Bonhams auf dem internationalen Kunstmarkt an einen privaten Kunden verkauft. Sie ist eines von hunderten, wenn nicht tausenden für die Wissenschaftsgeschichte wichtigen Objekten, die auf diese Weise der Forschung entzogen werden. Der Katalog schreibt sie der Zeit der Dynastie der Timuriden (ca. 1370-1502) in Iran zu, so genannt nach dem Dynastiegründer Timur der Lahme (r. ca. 1370-1406).


Aber das ist falsch. Warum?


Diese Karte weicht deutlich von der Art der Sternbilder ab, die aus islamischen Quellen seit dem 10. Jahrhundert bekannt sind. Dafür enthält sie mehrere klare Hinweise auf Bildtraditionen, die im christlichen Europe in Handschriften und auf Globen seit etwa dem 8. Jahrhundert gefunden werden können. Dazu gehören die nackten Körper der Zwillinge, des Wasserträgers, des Schlangenträgers, von Auriga, Perseus, Andromeda und Cassiopeia sowie der nackte Oberkörper des Schützen. In der islamischen Bildtradition waren diese Sternbilder zumeist kostbar bekleidet, obwohl insbesondere der Wasserträger oft auch mit einem nackten Oberkörper gezeigt worden ist. Perseus hielt den abgeschlagenen Kopf eines männlichen Dämons in der Hand, da den dortigen Malern die Geschichte der Medusa mit den Schlangenhaaren, deren Kopf Perseus abgeschlagen hat, um die äthiopische Königstochter Andromeda vor dem Seeungeheuer zu retten, unbekannt gewesen ist. Auf unserer schönen Karte hält Perseus (rechts vom Dreieck) jedoch den Kopf der Medusa in seiner Hand. Das hat der Maler aber nicht verstanden, denn der Dämonenkopf ist ungefärbt geblieben als ob ein Teil von Perseus selbst. Daneben enthält die Karte auch Sternbilder, die im Nahen Osten nicht bildlich dargestellt werden sind wie Berenikes Haar oder dort vor dem 17. Jh. gar nicht bekannt gewesen sind wie die Giraffe (in der Nähe von Cassiopeia auf dem Thron).


Ein spezielles Sternbild deutet auf die Region hin, wo die Vorlage entstanden sein dürfte, die den unbekannten Künstler inspiriert hat: Pegasus mit dem Fischschwanz. Diese Darstellung verschmilzt das Tierkreiszeichen der Fische mit der Konstellation des geflügelten Pferdes. Eine solche Verschmelzung ist bislang aus einer einzigen anderen Himmelskarte bekannt, die sich in der Bibliothek der Universität Leiden in Holland befindet. Weder ihr Gestalter noch ihre Produzenten (Kupferstecher, Drucker/Verlag) sind bekannt. Mein holländischer Kollege Robert van Gent in Utrecht vermutet, dass sie (wie auch die Karte des südlichen Himmels) aus einem Buch ausgeschnitten und auf Pappe aufgeklebt worden ist.*



Universität Leiden, Bodel Nijenhuis Collection, Port 169 N 3a

Wenn Sie an den oberen Rand des Himmels schauen, finden Sie Pegasus, vor dem die nackte Andromeda steht und uns ihren Rücken zuwendet. Dadurch sieht man nur noch den Schanz eines der Fische links von ihr hervorschauen. Es sieht so aus, als ob dieser Fischschwanz zu Pegasus gehört. Jedoch kann diese Karte nicht die direkte Vorlage der iranischen Abbildung sein. Die Giraffe fehlt.


Robert van Gent hat darauf hingewiesen, dass die lateinische Karte in vielen Einzelheiten mit einem Globus von 1603 des berühmten holländischen Kartenmachers und Verlegers Willem Jansz Blaeu (1571-1638) übereinstimmt. Ich kenne zwar viele Erdkarten aus diesem Verlagshaus, habe aber den Globus noch nicht gesehen. Ich muss unbedingt nach ihm suchen, da ich ein Buchkapitel über die iranische Karte schreiben muss. Ich werde also Rob schreiben und ihn um Hilfe bitten.


Sie mögen sich nun fragen: nach schön und gut, Pegasus mit einem Fischschwanz auf einem holländischen Globus – was hat das mit einer Sternenkarte aus dem Iran zu tun?


Das ist ganz einfach: im 17. Jahrhundert sind immer wieder Kaufleute, Botschafter, Missionare, neugierige Söhne reicher Familien und auch junge Männer auf der Suche nach Arbeit in den Nahen Osten gefahren und haben sich dort Wochen, Monate oder auch viele Jahre aufgehalten. Sie brachten Bücher, Instrumente, Kreditbriefe und reichhaltige Geschenke mit. Einige davon kann man noch heute in iranischen Bibliotheken und Museen bewundern. Die Holländer wie auch die Engländer hatten Handelskontore in Isfahan und in Häfen am Persischen Golf. Missionsorden wie die Augustiner, Kapuziner, Karmeliter und Jesuiten lebten in Isfahan, Schiras oder Tabriz.


Blaeus Globus kann so wie auch viele andere Dinge nach Isfahan gelangt sein und einem Hofastrologen oder Hofmaler so gefallen haben, dass er ihn abgemalt hat. Der einzige Fall dieser Art ist unsere Karte nämlich nicht. Eine französische Sternkarte wurde von dem Astrologen Muhammad Mahdi aus Yazd auf drei von ihm gefertigten Astrolabien kopiert, von denen sich zwei heute in London und Cambridge befinden.** Der Louvre in Paris hat außerdem 2018 einen iranischen Himmelsglobus gekauft, der farblich unserer Karte ähnlich sieht und ebenfalls europäische Motive verwendet.*** Allerdings fehlt dort Pegasus, wie Sie sehen können, der Fischschwanz und Andromeda ist bekleidet und schaut uns an. Die Beziehungen zwischen Frankreich, England, Holland, Italien, Spanien und Portugal und Iran waren damals also ziemlich eng.





Fazit:


Unsere Sternenkarte kann deshalb nicht aus dem 15. Jahrhundert, der Zeit der Timuriden, stammen. Sie wurde erst im 17. Jahrhundert gemalt, als die Dynastie der Safawiden im Iran herrschte.


* https://webspace.science.uu.nl/~gent0113/celestia/images/mystery_star_map_north.jpg


** https://collections.rmg.co.uk/collections/objects/10756.html


*** https://www.louvre.fr/en/expositions/treasures

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