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Corona, Anstand und Meinungsfreiheit

Es gehört zur Norm des öffentlichen Lebens, dass in der Politik und auf den sozialen Medien die Grenzen des Anstandes oft meilenweit überschritten werden. Zumeist wird das als Meinungsfreiheit gerechtfertigt. Begriffe wie Fake News, durch Donald Trump berüchtigt gemacht, und Hate Speech, durch das Verhalten vor allem von Facebook in Mode gebracht, kennzeichnen nach Ansicht vieler Menschen im öffentlichen und privaten Raum eine neue Entwicklung der nahezu zügellosen Aushöhlung des Begriffs der Meinungsfreiheit. Anstand, ein im privaten wie öffentlichen sozialen Verkehr dringend notwendiger Verhaltenskodex, kommt dabei zunehmend unter die Räder.


Zossen ist keine Ausnahme, sondern leider eher ein typisches Beispiel für diese Phänomene.

Menschen verschiedener politischer, kultureller und sozialer Auffassungen beteiligen sich daran. Dass ich derart ruppige Verhaltensweisen ablehne und Kritik in der Sache und in höflicher Form, bei Gelegenheit durchaus auch mit etwas Spott oder Biss durchsetzt, in der politischen Auseinandersetzung für den einzig angemessenen Weg ansehe, habe ich bei der Eröffnung dieser Webseite deutlich gemacht. Von Beruf aus Wissenschaftshistorikerin, nicht Journalistin lerne ich noch immer, wie ich schreiben kann und wie ich es nicht tun sollte. Deshalb korrigiere ich auch immer wieder meine Beiträge sowohl der Sache als auch der Sprache nach, wenn mich jemand auf Fehler aufmerksam macht. Das halte ich für guten Stil und freue mich über jeden kritischen Hinweis, nicht, weil es mir gefällt, auf Fehler hingewiesen zu werden, sondern weil ich deren Berichtigung für erforderlich halte.


Warum schreibe ich das?


Vor einigen Tagen, nämlich am 12. November, erschien auf der Webseite von Plan B eine Presseerklärung, die es in sich hat. Sie ist leider nicht unterschrieben. Bei einer Presseerklärung der Stadt ist klar, dass Herr Hasselmann, der Pressesprecher, sie verfaßt hat und die Bürgermeisterin Frau Schwarzweller dafür verantwortlich zeichnet. Doch wie sieht das bei Plan B aus? Ist hierfür die Sprecherin der Wählervereinigung Frau Schreiber im Verein mit dem Betreiber der Webseite Herrn Lewinsohn die Verantwortliche? Oder sind es die Abgeordneten, deren Proteste in der Erklärung zum Thema gemacht werden? Ich weiss es nicht und bedaure meine Unkenntnis. Ein Ausdruck jedoch weist für mich ganz klar auf Frau Schreiber hin, es sei denn, andere Plan B-Mitglieder haben sich diese Sprachregelung bereits zu eigen gemacht. Dieser Ausdruck lautet "momentane Bürgermeisterin" und wird für Frau Schwarzweller gebraucht.


Wichtiger aber als das Fehlen der Zuständigkeit für diesen Text ist sein Inhalt. Als ich ihn am 12. November zum ersten Mal zur Kenntnis genommen hatte, war ich sprachlos. Der Schmutzkübel, der darin wieder einmal über Frau Schwarzweller sowie einige Abgeordnete ausgegossen wurde, stank aus meiner Sicht zum Himmel. Aber gerade deswegen beschloss ich, nicht sofort darauf zu reagieren.


Was wird Frau Schwarzweller und den namentlich genannten Abgeordneten vorgeworfen?


  1. Sie hätten wichtige Themen städtischer Politik wie z. B. die fehlenden Kindergartenplätze oder die Lage in den Schulen infolge der verschärften Coronaregeln der Landesregierung durch ihre Empfehlungen und Entscheidungen, keine Ausschüsse in diesem Monat durchzuführen, in nicht zu akzeptierender Weise vernachlässigt und im Fall des von Herrn Wilke geleiteten Bauausschusses diesen an der Beratung von Beschlüssen gehindert.

  2. Sie hätten das im Gegensatz zu den geltenden verschärften Coronaregeln getan, "da diese ausdrücklich (vorsehen), dass Sitzungen durchgeführt werden dürfen".

  3. Frau Schwarzweller hätte versucht, die Ausschussvorsitzenden von "der Entbehrlichkeit der Sitzungen im November" zu überzeugen. Da ihr das im Fall von Herrn Wilke nicht gelungen ist, schlussfolgerte Plan B zunächst, dass sie einfach "keine Lust auf die Durchführung von Sitzungen" gehabt hätte. Etwas weiter unten warf der Schreiber der Erklärung Frau Schwarzweller Arbeitsverweigerung vor, weil sie mit Herrn Wilke telefoniert hatte und über ihr Fernbleiben sowie das der Mitglieder der Fraktionen Die Linke/SPD, Die Grünen, CDU und VUB informiert und mitgeteilt hätte, dass damit der Ausschuss beschlussunfähig sei.

  4. Das Nicht-Erscheinen des Sitzungsdienstes sei eine weitere Missachtung der ehrenamtlichen Tätigkeit der Abgeordneten und der sachkundigen Einwohner*innen, die in dieser Funktion erstmalig am Ausschuss teilnehmen durften, wie man sie sich krasser nicht vorstellen können.Sie alle wären enttäuscht und wütend gewesen. Eine langjährig ehrenamtlich tätige Person hätte kommentiert, dass ihr so etwas in all den Jahren der Arbeit noch nie passiert sei.

  5. Am Ende faßt die/der Verantwortliche der Presseerklärung die Meinungen wie folgt zusammen: "Alle Anwesenden waren sich in der Einschätzung einig, dass das Fernbleiben der momentanen Bürgermeisterin Wiebke Schwarzweller wohl „Feigheit vorm Feind“ ist und Arbeitsverweigerung, unerträglich und unwürdig für das Amt eines Bürgermeisters."


Was ist daran richtig?


Ja, die Landesregeln für den Umgang mit der Pandemie in diesem Monat verbieten nicht das Stattfinden von Sitzungen kommunaler Gremien. Aber sie spezifizieren, dass sie dann stattfinden können, wenn sie "zwingend erforderlich" sind (§ 4. Satz 4). In § 5. Satz 3 erlauben sie es der zuständigen Versammlungsbehörde, auch solche Sitzungen unter Berücksichtigung der Gesetze sowie der Sicherheit einschränken oder verbieten zu dürfen. In § 7. Satz 4 verpflichten sie die Durchführenden von Veranstaltungen ohne Unterhaltungscharakter, wozu vermutlich – in gewissen Grenzen – sogar Sitzungen der Ausschüsse, vor allem der in Zossen, gehören dürften, zur vorherigen Vorlage eines spezifischen Hygienekonzeptes, zum Tragen aller Beteiligten von Mund-Nase-Masken, dem Einhalten von Mindestabständen und regelmäßigen Durchlüften.* Da nach bisherigen Erfahrungen die Abgeordneten von Plan B und AfD sowie Frau Schreiber sich an derartige Vorschriften nicht halten und die Presseerklärung auch nicht volltönend behauptet, dass Herr Wilke diesen gesetzlichen Auflagen Rechnung getragen hat, vermute ich, dass er es nicht getan hat.


Damit verstehe ich Frau Schwarzwellers Entscheidung, ihre Mitarbeiter*innen des Sitzungsdienstes nicht zu der von Herrn Wilke durchgesetzten Sitzung eines beschlussunfähigen Ausschusses zu schicken, da sie mir auf meine diesbezügliche Nachfrage mitgeteilt hat, dass diese Mitarbeiter*innen zur Risikogruppe gehören.


Was ist an der Presseerklärung strittig oder gar unanständig?


Ein beschlussunfähiges Gremium findet meines Wissens nach nie statt, egal ob Pandemie herrscht oder nicht. Herr Wilke, durch das Telefonat der Bürgermeisterin mit ihm davon offenbar rechtzeitig informiert, hätte also allen Abgeordneten, die sich noch nicht entschuldigt hatten und den sachkundigen Bürgern mitteilen müssen, dass der Ausschuss aus diesem Grund nicht stattfinden könne. Dass er darauf verzichtet hat, ist die Ursache für die Verärgerung der Bürger*innen. Sein Verschweigen dieses Umstandes ist eine Unterlassungssünde sowohl am 11. als auch am 12. November, d.h. im Ausschuss und in der Presseerklärung.


Frau Schwarzweller, die gewählte Bürgermeisterin, war am 11. November krank geschrieben. Die Schwere ihrer durch eine Operation verursachten Behinderungen war für jeden, der an den letzten beiden Stadtverordnetenversammlungen teilgenommen hat – also alle Abgeordneten von Plan B (außer dem erkrankten Herrn Christ, dem ich gute Besserung wünsche) und der AfD sowie Frau Schreiber (möglicherweise auch Herr Lewinsohn, ich habe ihn allerdings nicht gesehen), zweifelsfrei erkennbar. Wer ihr unter diesen rechtlichen und gesundheitlichen Bedingungen Arbeitsverweigerung und unwürdiges Verhalten als Bürgermeisterin vorwirft, disqualifiziert sich selbst. Falls der/die Schreiber/in der Presserklärung zu den am 28. 10. und 4.11. auf den SVVs genannten anwesenden Personen gehört, weist er/sie sich außerdem als charakterlos und unanständig aus. Der Mangel an Würde liegt dann zu seinen/ihren Füßen.


Bemühungen der kranken Bürgermeisterin


Die Presseerklärung weist, ungeachtet ihrer unfreundlichen und zum Teil die Sachlage verdrehenden Darstellung, klar aus, dass sich Frau Schwarzweller um eine intensive Kommunikation mit allen Ausschussvorsitzenden und einen verantwortungsvollen Umgang mit der Pandemie aufgrund der steigenden Fallzahlen auch in Teltow-Fläming (heute steht der 7-Tages-Inzidenzndex bei 120,7, hat sich also seit dem 23. Oktober mehr als verdoppelt) bemüht hat. Sie zeigt ebenso, dass die Abgeordneten von Plan B und Frau Schreiber dieses nicht zu würdigen wissen.


Der lockere Umgang der Abgeordneten von Plan B und seiner Anhänger mit Gesundheitsschutzregeln unter Pandemiebedingungen ist seit langem ein Gesprächsthema. Die Presseerklärung bestätigt diesen Sachverhalt.


Die Entscheidungen des Vereins Demokratie und Menschlichkeit unter verschärften Coronaregeln


Bei unseren Projekten "Für ein l(i)ebenswertes Zossen" haben wir den entgegengesetzten Weg der erhöhten Verantwortung eingeschlagen, den auch Frau Schwarzweller, Herr Schulz, Herr Just, Herr Kühnapfel, Herr Njammasch und andere, in der Presseerklärung nicht namentlich genannte Abgeordnete gewählt haben. Alle unsere im November geplanten Veranstaltungen sind verschoben worden, obwohl die Vorschriften der Landesregierung uns das nicht zur Pflicht gemacht haben. Wir bedauern diese Verzögerungen sehr und hoffen, alle ausgefallenen Aktivitäten bald nachholen zu können. Dem Vorstand des Vereins Demokratie und Menschlichkeit und den Vereinsmitgliedern sowie dankenswerter Weise auch allen Projektteilnehmer*innen sind die Gesundheit aller Beteiligten dennoch wichtiger als die für November geplanten Ereignisse. Herr Wilke hätte auch diese Position einnehmen und den Ausschuss verschieben oder ihn digital organisieren können. Möglich wäre es ihm sehr wohl gewesen. Aber alternative Lösungen sind offenkundig nicht seine Stärke. Die Erzeugung eines gewollten Eklat dagegen sehr wohl.


Für Höflichkeit und Anstand im Umgang miteinander


Und noch ein Wort in eigener Sache und damit eine abschließende Bemerkung zu Anstand und Meinungsfreiheit unter verschärften Coronabedingungen:


Vor einigen Tagen hat ein Plan B–Abgeordneter aus einem Laden Unterschriftenlisten für den Bau der Straßenüberführung in Wünsdorf mitgenommen. Anstatt das an die große Glocke Facebook zu hängen, haben die Organisator*innen dieser Sammlung die Ruhe bewahrt und bei dem Herrn um die Rückgabe der Listen gebeten. Der Abgeordnete entschuldigte sich für seinen Fehler und brachte die Listen zurück. Er hatte sich geirrt und die Listen für jene von Plan B für einen Bürgerentscheid gehalten. Solche Dinge passieren. Aber wie dieser Fall zeigt: man kann auf beiden Seiten damit höflich und anständig umgehen.


Mein Wunsch


Deshalb mein Wunsch an alle, die sich zu städtischen Ereignissen und Problemen äußern möchten: tun Sie es höflich und mit Anstand! Wenn Sie sich über etwas ärgern, holen Sie tief Luft und warten Sie eine Weile, ehe Sie Ihre Meinung zu dem, was Sie verärgert hat, öffentlich kundtun.


* https://bravors.brandenburg.de/verordnungen/sars_cov_2_eindv



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wünsche ich allen Leser*nnen meiner Zeilen! Ich werde in der Tat zum Ende des Jahres das Schreiben einstellen. Ich habe nur noch 25% Lesefähigkeit auf beiden Augen und muss mich deshalb auf meine noch

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